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Demokratischer Luxus mit Swing

Bei Nomos läuft alles richtig. Dafür steht Uwe Ahrendt. Auf diesem Foto steht er übrigens an einem Fenster, an dessen Außenseite sich ein Werbeplakat findet.

Der Glashütten Uhrenhersteller Nomos setzt auf größtmögliche Eigenständigkeit – und ist damit allen einen Zeigersprung voraus. 

Uwe Arendt lächelt. „Im Nachhinein lässt sich natürlich leicht behaupten, dass das alles Strategie war.“ Der 48-Jährige lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück. „Das wäre allerdings völliger Unsinn.“ Gleichwohl ist dem geschäftsführenden Gesellschafter der Uhren-Manufaktur Nomos in Glashütte anzumerken, dass er stolz ist. Stolz darauf, dass das Unternehmen in den vergangenen Jahren ziemlich viel ziemlich richtig gemacht hat. „Wir sind in den letzten Jahren um 65 Prozent gewachsen“, sagt Arendt. Das hat auch damit zu tun, dass der vergleichsweise kleine Hersteller mit rund 300 Mitarbeiter kurz zuvor das Quasi-Monopol eines Weltkonzerns gebrochen hatte. 

DAs Herz jeder mechanischen Armbanduhr ist das Uhrwerk. Dessen zentraler Bestandteil ist das sogenannte Assortiment, der Taktgeber der Uhr. Es besteht aus Anker, Ankerrad und Unruh mit Spirale. Teilchen, so winzig, dass man fürchtet, sie bei zu viel Nähe einzuatmen, kleiner als die Buchstaben einer Zeitungsseite. Die meisten Uhrenhersteller in Deutschland und der Schweiz bauen ihre Uhrwerke und Assortiments nicht selbst, sie kaufen sie ein. Größter Lieferant ist die Swatch-Gruppe mit ihren Töchtern Eta und Nivarox. Die hatte Anfang des Jahrtausends angekündigt, die Belieferung von konzernfremden Marken zurückzufahren – und perspektivisch ganz einzustellen. Die Schweizer Wettbewerbskommission griff 2013 ein und verfügte, das Swatch zumindest den Lieferstand von 2010 aufrechterhalten müsse. Also liefert der Konzern – weil er muss. Und nur, solange er noch muss. 

Vom Lieferstopp war indes noch längst keine Rede, als Ahrendt und Nomos-Gründer sowie Mehrheitsgesellschafter Roland Schwertner, Mitte der 2000er-Jahre beschlossen, das Herz ihrer Uhren selbst zu bauen, um „technisch komplett unabhängig“ zu werden. Rund acht Jahre Entwicklungszeit und gut elfeinhalb Millionen Euro brauchte es, bis Nomos in Zusammenarbeit mit der TU Dresden das eigene Assortiment fertig hatte. Es heißt Nomos-Swing- System – und galt, als es 2014 auf der Welt- Uhrenleitmesse Baselword vorgestellt wurde, in Fachkreisen als Paukenschlag. „Es hat niemand geglaubt, dass sich das Assortiment in absehbarer Zeit in industriellem Maßstab zu einem akzeptablen Preis von einem kleinen Hersteller realisieren lässt“, sagt Ahrendt. Theoretisch könnte die Manufaktur jetzt ihre Werke an andere Hersteller liefern. Derzeit, sagt Ahrendt, sei das aber nicht geplant. Denn Nomos hat mehr als genug zu tun, das eigene Wachstum zu managen. 1992 hatte Roland Schwertner die Produktion der Nomos-Uhren in einer angemieteten Dreiraum-Wohnung begonnen, seit 2005 hatte Nomos den ehemaligen Bahnhof des Uhrmacherstädtchens in Beschlag genommen. Doch auch der bietet längst nicht mehr genug Platz für Produktion und Verwaltung. Die Montage der Uhren und die Entwicklungsabteilung sind aus dem Ortskern in ein Gebäude bergaufwärts gezogen. Und seit Herbst 2017 ist auch die neue Fabrik der Uhrenmanufaktur fertig, in der aus Rohmaterialien die Teilchen für die Uhren entstehen. Rund 1,8 Millionen Euro kostete der Neubau im Glashütter Ortsteil Schrottwitz. Bei der Planung der Fabrik arbeitete Nomos ebenfalls mit einem Lehrstuhl der TU Dresden zusammen. Dreherei, Fräserei, Feinbearbeitung, Qualitätssicherung und Reinigungsraum sind jetzt optimal für die Arbeitsabläufe gruppiert. Bei einigen Nomos- Uhrenmodellen liege die Fertigungstiefe jetzt bei über 90 Prozent. Eine eigene Galvanik hat Nomos nicht – dieser Schritt der Veredlung von Uhren-Teilchen wird in Dresden erledigt. Und auch eigene Zifferblätter oder Zeiger herzustellen, rechne sich betriebswirtschaftlich nicht, sagt Arendt. So oder so: Über die Wertschöpfungs- Schwelle von 50 Prozent ist Nomos längst hinaus. Nach einer Vorschrift von 1906 müssen bei Uhren, die das Gütesiegel Glashütte tragen dürfen, mindestens 50 Prozent der Wertschöpfung beim Bau des Uhrwerks auch vor Ort erbracht werden. Darüber hat sich Schwertner früher selbst mit Behörden gestritten – auch in Nomos- Uhren tickten lange Swatch-Werke. Seit die Manufaktur eigene Werke verbaut, achtet sie bei den Mitbewerbern sehr auf die Einhaltung der Regel. 

Denn bei aller Beschwörung der gemeinsamen Tradition im Ort, die auch der gebürtige Glashütter Uwe Ahrendt im Gespräch gerne hervorhebt – der Wettbewerb ist durchaus hart. Dabei hat Nomos für sich ein Segment in der Uhrenwelt erschlossen, das Ahrendt nur halb scherzhaft „demokratischen Luxus“ nennt. Die meisten Nomos- Uhren, von den klaren Design-Prinzipien der Werkbund- und Bauhaus-Schule geprägt, kosten zwischen 1 000 und 4 000 Euro. Für das teuerste Modell sind reichlich 14 000 Euro fällig – in dieser Region fangen die Preislisten der Glashütten Luxusmarken Lange und Glashütte Original erst an.

Zu genauen Umsatz- und Stückzahlen sagt Ahrendt nichts – schon seit mehr als zehn Jahren. Branchenexperten gehen von einem mittleren zweistelligen Millionenumsatz aus. Das ist eine Hausnummer – noch dazu, weil Nomos als einer der wenigen Uhrenhersteller weltweit nicht zu einem großen Luxuskonzern gehört. Angebote habe es einige gegeben, deutet der Nomos-Chef an. Die seien Bestätigung dafür, dass „wir hier einen guten Job machen“, kein Verkaufsanreiz, betont Arendt.

Der Vater von drei Kindern stammt aus einer Uhrmacherfamilie und lernte beim VEB Glashütte Werkzeugmacher. Nach der Wende studierte er Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften und arbeitete in der Schweiz in der Uhrenindustrie. Nach der Wiedergeburt von Glashütte als Uhrenfabrikationsstandort konnte Arendt in seine Heimat ohne Karriereeinbußen zurückkehren. Er fing bei Lange & Söhne an und wurde dort Produktionsleiter. Seit 2000 ist Ahrendt Geschäftsführer bei Nomos, seit 2003 auch Gesellschafter. Für die Weiterentwicklung von Nomos hat er eine klare Strategie: Internationalisierung. Stärkster Absatzmarkt ist Deutschland, an zweiter Stelle folgen bereits die USA. Insgesamt exportiert Nomos in über 50 Länder.

 

Text: Lars Radau

Foto: Thomas Kretschel/ kairospress

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