In Krisenzeiten ist Stabilität gefragt: Dieses Ei zeigt Widerstandskraft.
Krise ohne Drama
Der Wettbewerb „Sachsens Unternehmer des Jahres“ wird volljährig. In seiner 18. Saison stehen Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit besonders im Fokus. Und jene, die in schwieriger Lage besonnen und weitsichtig agieren: Wer kann am besten Resilienz?
DRESDEN/CHEMNITZ/LEIPZIG — Wenn Steine reden könnten, dann hätte das unscheinbare Alte Pumpenhaus an der Dresdner Marienbrücke einiges zu erzählen: vom Bau 1895, von jahrzehntelanger Versorgung des Kraftwerks Mitte mit Brauch- und Kühlwasser aus der Elbe, vom Bombentreffer 1945, der Schließung 1994, von Vandalismus, Verfall – aber auch von Sanierung und der Wandlung zur gefragten Dresdner Eventadresse.
Ein perfekter Ort, wenn über Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft diskutiert wird, wie jüngst auf Einladung des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW). Doch dort, wo sich sonst bis zu 310 Menschen zu Firmenfeiern, Hochzeiten oder Konzerten treffen, verlieren sich bei jener Resilienz-Tagung keine 20 Interessenten und kaum mehr bei der Liveübertragung im Internet.
Resilienz – ein Modewort ohne Echo? In den 1950er-Jahren von der Wissenschaft entdeckt, wird die lateinische Vokabel seit der Corona Pandemie immer öfter verwendet. Ein sprödes Fremdwort, als Wunsch aber kaum einem Unternehmen fremd. Grund genug, bei der bevor- stehenden Suche nach „Sachsens Unternehmer des Jahres“ den Fokus auf Chefinnen und Chefs zu richten, für die der Begriff Programm ist bei der Bewältigung all des Ungemachs, das binnen drei Jahren – und in den vergangenen Monaten geballt – über die Wirtschaft hereinbrach: Brexit, Covid mit Lockdown, Personalnot, Russlandsanktionen, Lieferprobleme, Materialmangel, explodierende Energie- und Rohstoffprei- se, Inflation, abrupter Nachfrage- und Umsatzeinbruch.
Die Liste der Unsicherheiten sei lang, sagt Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU), und die Auseinandersetzung mit Resilienz „zur Frage des wirtschaftlichen Überlebens geworden“. Gerade kleine und mittlere Unternehmen könnten ohne Strukturen, die Störungen flexibel und kurzfristig abfedern und beheben, schnell in Schieflage und Existenznot geraten. Die Frequenz der Schockereignisse werde kürzer werden, so Gemkows alarmierende Prognose – und darauf gelte es sich einzustellen.
„Viele hatten das Thema lange nicht auf dem Schirm, und dann brach es mit Corona und anderen Krisen über sie herein“, sagt Thomas Horn, Chef der Wirtschaftsförderung Sachsen (WFS). Man müsse immer am Ball bleiben, rät der Geschäftsführer. Große Namen wie der Filmhersteller Agfa hätten „den Zug der Zeit nicht erkannt“ und seien von der Bildfläche verschwunden. Versandhäuser wie Quelle und Neckermann hätten nicht verstanden, ihr Katalogangebot ins Digitale zu übertragen. Die Folge: Ihr Geschäft macht heute Amazon. Und Nokia, einst Weltmarktführer bei Handys, sei gerade noch so am Aus vorbeigeschrammt.
„Heute betrifft das Problem alle Unternehmen aber auch die Entscheider in der Politik, die Wissenschaft – nahezu jeden“, sagt Horn. Dabei sei Resilienz eine grundlegende Frage, die sich für Unternehmen schon am Anfang beim Businessplan stelle. Es gebe keine pauschalen Antworten, nur individuelle. Die Notwendigkeit, sich widerstandsfähig aufzustellen, werde bleiben, auch nach einem Ende des Ukrainekriegs, ist Horn überzeugt.
Jahrzehnte habe Deutschland „im Glauben gelebt, dass alles immer besser wird“: die Einheit, Europas Zusammenwachsen, offene Grenzen, Kooperationen, zunehmender Freihandel, Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand. Aber gut 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sei die „Friedensdividende“ aufgebraucht.
„Gewohnte Dinge wie internationale Arbeitsteilung funktionieren nicht mehr“, sagt der WFS-Chef und verweist auf bei Autobauern fehlen- den Kabelbäumen aus der Ukraine. Aus Selbstverständlichkeiten würden viele Fragezeichen – und das gleichzeitig, so Horn. Mit der Umstellung von VW auf Elektroautos hätten viele Zulieferer im Erzgebirge ihr Geschäftsmodell verloren. Sie hätten sich hinterfragen und Antworten finden müssen. Sachsens Standortwerber begrüßt den wissenschaftlichen Ansatz, um das Problem in die Unternehmen zu tragen.
In einem vom Freistaat mit 900.000 Euro aus dem Corona-Bewältigungsfonds geförderten Forschungsprojekt hat sich das IMW mit den Auswirkungen globaler Krisen auf Sachsens kleinteilige Wirtschaft befasst. Schwerpunkt war anfangs der Umgang der Unternehmen mit den Pandemiefolgen: von gestörten Lieferketten bis zum Infektionsschutz für Beschäftigte. Mit Russlands Krieg in der Ukraine und seinen Auswirkungen hat das Projekt an Brisanz gewonnen.
Im Austausch mit der Wirtschaft haben die Leipziger Forscher ein Online-Werkzeug zur Messung der Resilienz von Unternehmen entwickelt, Informationen und positive Beispiele aufbereitet, Checklisten er- stellt. Das Ziel: Schwachstellen im Geschäftskonzept identifizieren, konkrete Handlungsfelder ableiten, die Firma resilienter aufzustellen.
Lange konnte sich die Wirtschaft auf Dinge verlassen: dass bestellte Ware pünktlich ankam, auf Just-in- time-Produktion, auf halbwegs stabile oder moderat steigende Preise, sichere und bezahlbare Energieversorgung, Fachkräftenachwuchs. Das ist vorbei, Verunsicherung macht sich breit. Philipp Herrmann, Projektleiter beim Fraunhofer IMW, spricht von einer Zeit multipler Krisen, die sich überlagern und gegenseitig verstärken.
„Alle sollen die Resilienz stärken, aber niemand weiß so richtig, was das ist, und was es für Unternehme- rinnen und Unternehmer bedeutet“, sagt der Forscher. Tatsächlich gibt es weder eine eindeutige Definition für diesen Begriff noch ein einheitliches Verständnis, welche Eigenschaften oder Fähigkeiten genau da- mit gemeint sind. Materialforscher verbinden mit ihm die Eigenschaft, bei mechanischer Belastung die Ursprungsform beizubehalten oder nach Verformung schnell in diese zurückzukehren. Psychologen haben zum Beispiel Stressbewältigung im Blick, das Verteidigungsministerium die Sicherheit des Landes.
Und die Jury für Sachsens bedeutendsten Unternehmerpreis legt diesmal ihren Fokus in gleichnamiger Sonderkategorie auf Chefinnen und Chefs, die mit Weitsicht und langfristigen Unternehmenszielen sowie klugem Einsatz von Ressourcen flexibel in schwierigen Situationen agieren. Sie würdigt etwa Unternehmenswerte, die einen positiven Umgang mit Fehlern erlauben und die Offenheit, stetig dazuzulernen. „Eine Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“, machte vor Jahrzehnten der Schriftsteller Max Frisch Mut.
Resilienz nimmt der Krise das Drama. „Wer resilient ist, wird in schwierigen Situationen nicht panisch, sondern schafft es, sich weiter zwischen Erhaltung, Reorganisation und Wachstum zu bewegen“, heißt es in der Ausschreibung für Sach- sens Unternehmerpreis. Weitsicht bei gleichzeitiger Agilität, rechtzeitige Innovationen und ein kluger Einsatz von Ressourcen, der es einem Unternehmen ermöglicht, flexibel genug zu handeln, seien die Schlüssel zum Erfolg. Und nicht zuletzt helfe ein positiver Umgang mit Feh- lern, um widerstandsfähig zu sein, gepaart mit der Offenheit, stetig dazuzulernen – und dabei dennoch die eigenen Werte und die eigene Identität im Blick zu behalten.
Mit „Wertversprechen gegenüber Kunden, Unternehmenskultur, Krisenmanagement, Lieferketten, Digitalisierung“ hat IMW-Institutsleiter Thorsten Posselt fünf Handlungsfelder in Sachen Widerstandskraft aus- gemacht. Es gehe in der Wirtschaft nicht mehr nur um Kosteneffizienz, sondern um Neuorientierung in der Unternehmensführung und auch um die Frage: „Was ist uns diese Resilienz finanziell wert?“
„Wir haben vieles selbst in der Hand und technologisch enorme Fähigkeiten, um mit dem Wandel zu- rechtzukommen“, resümiert WFS- Chef Thomas Horn. Er verweist da- bei auf Sachsens Robotik, autonomes Fahren, künstliche Intelligenz, Leichtbau und Biotechnologie.
Das Fraunhofer IFM will Unter- nehmen auf dem Weg zu Robustheit wissenschaftlich begleiten. „Dazu müssen sie aber bereit sein, die eigene Geschäftstätigkeit immer wieder zu hinterfragen“, sagt Institutschef Posselt. Der Professor an der Universität Leipzig plädiert für ein Netz- werk, um Ideen auszutauschen und voneinander zu lernen. Die Dresdner Fachtagung sollte der Auftakt sein. Derweil startet der Wettbewerb „Sachsens Unternehmer des Jahres“ in seine 18. Saison – und mit ihm die Suche nach dem oder der besten Re- silienzmanager/in.
Text: Michael Rothe
Foto: Imago Images