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Eine Brauerei mit Exzellenz

Wissenschaft trifft Handwerk: Thomas Henle und Jan J. Weigand sind Gründer von Deutschlands erster ausgelagerter Universitätsbrauerei – und Kandidaten für Sachsens Start-up-Preis. 

Hopfen, Malz, Wasser, Hefe. Vier Zutaten und das seit Tausenden von Jahren bei einem der ältesten Getränke der Welt. Was soll da schon wissenschaftlich sein?

Thomas Henle und Jan J. Weigand könnten lange Vorträge halten – und tun es: als Dozenten an der Technischen Universität (TU) Dresden. Da geht es auch um neue Stoffwechselwege der Bierhefen, die Bildung von Aromastoffen bei Gärung und Malzherstellung sowie die Vorhersage von Veränderungen bei der Bier-Lagerung.

»Wir forschen ebenso zu nachhaltiger Resteverwertung«, ergänzt Weigand. »Statt den Biertreber in die Biogasherstellung zu geben, nutzen wir ihn, um Biosorbentien zu entwickeln.« So angereichertes Material könne beitragen, Schwermetalle aus Brauch- und Abwässern nachhaltig zu entfernen, die Wasserqualität zu verbessern und die Umwelt zu schützen. Abgesehen davon experimentiert das Team bei der Bierherstellung auch mit Reis und Mais als alternative Stärkequelle zur Braugerste.
25 teils exotische Grundrezepte sind so im Forschungslabor der TU entstanden – und streng geheim. Kein Wunder bei einer Firma, deren Telefonnummer mit 007 endet.

Die Professoren der Lebensmittelchemie sind Gründer und Mitinhaber der Lohrmann Brauerei GmbH, Deutschlands einziger ausgegründeter Universitätsbrauerei. »Ich behaupte sogar, dass wir europaweit einzigartig sind«, fügt Geschäftsführer Francisco Arroyo-Escobar stolz hinzu.

Brauerei mit Exzellenz – was sich wie ein Werbeslogan liest, ist kein platter Spruch, sondern belegt. Die Dresdner Uni gehört zu elf Einrichtungen in Deutschland, die sich dank Spitzenforschung bis 2026 Exzellenz-Universität nennen dürfen und mit Millionen Euro gefördert werden.

Bei Lohrmanns Brew kam alles zusammen: Bierverrückte Profs, die Unterstützung vom Rektorat, die Anschubfinanzierung durch die Transfergesellschaft der TU. »Die TUDAG ist das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Wirtschaft«, sagt Arroyo-Escobar, Beteiligungsmanager beim privatwirtschaftlichen Firmenverbund. Ziel sei es, die Industrie bei der Entwicklung neuer Technologien und innovativer Produkte zu unterstützen sowie Wünsche und Anforderungen der Wirtschaft in die Wissenschaft zu transportieren. Die Uni habe bei der Ausgründung Bier-Rezepte an das Unternehmen übertragen und dafür Firmenanteile erhalten, sagt der 57-jährige Spanier.

Das war im Mai 2019. »Nachdem in der TU ein Praktikumsversuch zur Wasseraufbereitung in der Technischen Chemie ersetzt werden musste, wurde es Zeit für was Neues«, blickt Dekan Henle zurück. Da Bayern wie er und sein Mitstreiter meist ein Faible für Bier haben und Weigands Vater Braumeister war, lag auf der Hand, was erforscht werden sollte: Stammwürze, Farbe, Bitterkeit, Proteingehalt, Schaumstabilität. »Und wir wollten mit eigener Herstellung selbst das Beste aus den vier Zutaten herausholen sowie die Biervielfalt wachsen lassen«, sagt der 62-Jährige, den es 1998 von der TU München nach Dresden zog.

Die eigentliche Produktion der derzeit drei Sorten – Rot, Pils, Hell – erfolgt im Brauhaus Hartmannsdorf bei Chemnitz: laut Firmenchef Arroyo rund 1.000 Hektoliter pro Jahr, was 200.000 Halbliter-Flaschen entspricht. »Aber Rezeptur und Qualitätskontrolle sind von uns«, betont Weigand. Neben klassischen Sorten, die an 85 Verkaufsstätten gingen, würden Craft Beer gebraut und experimentell Sondersorten jenseits des Reinheitsgebots, so der 49-Jährige.

Die Fangemeinde wächst. Bei Ebay werden Bierdeckel und ungebrauchte Kronenkorken für 3,50 bzw. 2,90 Euro gehandelt.

Die Story zieht, »Lohrmanns klinkt klassisch, setzt sich von hippen Craftbieren ab und lässt sich auch im Englischen wunderbar aussprechen«, sagt Weigand. Der Firmenname huldigt dem Astronomen Wilhelm Gotthelf Lohrmann, Erster Vorsteher der 1828 gegründeten »Technischen Bildungsanstalt«, dem Vorläufer der TU. Er steht für die enge Verbindung zur Uni und ist auch ein Zeichen von Dankbarkeit.

Henle und Weigand passen zusammen wie Hopfen und Malz. Ihr Start-Up mit mittlerweile zehn Beschäftigten und zwölf studentischen Hilfskräften will im Frühjahr im Dresdner Kulturkraftwerk Mitte eine eigene Brauereigaststätte eröffnen – »mit passendem Essen zum Bier und nicht umgekehrt«, heißt es. Dafür sucht das Unternehmen noch Küchenhilfen, Tresenkräfte und eine Restaurant- bzw. Serviceleitung.

Mit 1.500 Braustätten – knapp 80 davon in Sachsen – sowie einem Bierausstoß von 8,8 Milliarden Litern und einem Pro-Kopf-Verbrauch von etwa 90 Litern im Jahr gilt Deutschland als eine führende Biernation – und der Wirtschaftszweig mit rund 8,4 Milliarden Euro pro Jahr zu den umsatzstärksten der Getränkeindustrie. Den Gründern und ihrem Gefolge reichen schon Bruchteile vom Umsatz großer Fernsehbiere. 2023 waren es laut ihrem Firmenchef 450.000 Euro, etwa das Zweieinhalbfache von 2021.

Kurz nach Firmengründung und »Raketenstart« wütete Corona und machte den Unternehmertraum von Henle und Weigand fast zunichte. Alles war dicht – und nicht nur Druck auf dem Kessel. Ein privater Investor aus dem Ruhrgebiet half, die Pandemie zu überstehen.

Braut sich mit der Rückkehr zur 19-prozentigen Umsatzsteuer auf Speisen nun erneut Ungemach zusammen – kurz vor der Eröffnung ihres Restaurants? »Das macht es nicht einfacher«, heißt es vom Trio, aber jetzt liege alles in ihrer eigenen Hand. »Und es gibt kein Zurück mehr«, ist Thomas Henle entschlossen. Womöglich berichten die Gründer ja am 26. April bei Sachsens Unternehmerpreis-Gala in Dresdens Gläserner VW-Manufaktur, wie sie auch diese Klippe gemeistert haben. Für den Sonderpreis »Start-up des Jahres« sind sie neben anderen Bewerbern schon mal nominiert.

Der Wirtschaftspreis »Sachsens Unternehmer des Jahres 2024« und der Gründerpreis »Sachsen gründet – Start-up 2024« sind eine Initiative der »Sächsischen Zeitung«, der »Freien Presse«, der »Leipziger Volkszeitung« und des MDR sowie von VW Sachsen, der Beratungsgesellschaft Schneider + Partner, der LBBW, der Gesundheitskasse AOK Plus und »So geht sächsisch«.

Text: Michael Rothe
Bild: Veit Hengst

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