Das Dresdner Unternehmen Carl und Carla erhält den sächsischen Sonderpreis als bester Resilienzmanager. Doch wer steckt dahinter?
Der Kfz-Mechaniker Arne Springer drückt schwarze Folie auf die Motorhaube. Ein Buchstabe nach dem anderen klebt sich an dem VW-Bus fest. Carl in Blau. Und Carla in orange. In den nächsten vier Jahren werden sich diese zwei Namen an den weißen Transporter klammern und durch eine der deutschen Städte düsen. »Die gehen nach Dortmund, Bielefeld, Chemnitz«, sagt der Handwerker vom gleichnamigen Dresdner Unternehmen: Carl und Carla.
Ob der Carla-Kleinbus mit neun Sitzen oder der Carl-Transporter mit großer Ladefläche – für ein paar Stunden oder für zwei Wochen kann sich jede Person das Fahrzeug mieten. Ab 29 Euro für einen halben Tag. So der Deal, der sich seit zehn Jahren von Dresden auf ein Dutzend Städte ausgebreitet hat. Und trotz Inflation, steigenden Fahrzeug-, Personal und Benzinkosten bleibt der Mietpreis seit zehn Jahren beständig. »Wir setzen auf eine Entschlackung der Verwaltung«, erklärt Richard Vetter die Stabilität. Für die sie nun auch den sächsischen Sonderpreis als bester Resilienzmanager erhalten haben. Ein Budget im Wert von 60.000 Euro geht an sie, im Rahmen des Wettbewerbs »Sachsens Unternehmer,des Jahres«.
Entstanden ist die Idee vor mehr als zehn Jahren: Mit dem eigenen Bully, den sich die vier Gründer Richard Vetter, Bastian Thiere, Gregor Wendt und Martin Wesner teilten. Fürs Festival, die Baumarkttour oder die Sommerreise. Der Schlüssel blieb im Auto stecken, damit jeder aus dem Freundeskreis schnell mal wegfahren konnte. Die Elektronik dahinter haben die vier Studenten selbst entwickelt. »Auf meinem Nokia hatte ich den Kontakt ‚Bus‘ stehen und hab ihn angerufen, um ihn zu entriegeln«, erinnert sich der 35-jährige Vetter.
Die private Idee ist dann durch die Decke geschossen. Das unter dem Namen BSMRG GmbH gegründete Start-up wächst rasant. Im Corona-Jahr 2021 hat sich bei ihnen alles verdoppelt: die Zahl der Mitarbeiter, die Transporter und der Umsatz. Jetzt sind sie schon mit über 1.000 Bullys in 32 deutschen Städten unterwegs. Nicht überall betreibt das Dresdner Start-up seinen Service selbst, sie setzen auf ein Franchise-Konzept. Der Umsatz liege zusammengerechnet im zweistelligen Millionenbereich.
Dabei war die Wachstumsstory alles andere als linear: 2016 mussten sie ihre Ziele überdenken. Damals noch habe sich das Gründerquartett darauf beschränkt, nur Gebrauchtwagen zu vermieten. Ein teures Geschäftsmodell, denn die Wege wurden lang, um den richtigen VW-Bus zu finden, der auch wirklich noch am Berg genug Power hatte. Die Gründer entschieden, auf Neuwagen zu setzen: Heute fahren nur noch frisch produzierte VW-Busse des Kastenwagen-Typs 6.1 für Carl und Carla durch die Stadt.
Was eine Pandemie mit der Mobilität anstellt, lernten die Unternehmer im siebten Jahr. Als alles zum Stillstand kam, hatten sie gerade 15 Millionen Euro in neue VW-Busse gesteckt. Dabei brauchte zu dieser Zeit niemand einen Transporter, weil die Baumärkte geschlossen hatten und Umzüge abgesagt wurden. Drei Monate waren sie in Kurzarbeit. »Man muss lernen zu riskieren«, sagt Vetter im Nachhinein, der an diesem Tag vom Fuhrpark Cossebaude ins neue Dresdner Büro fährt. Natürlich im Bus. An einer Tankstelle hält er kurz an. Neben den üblichen Carls und Carlas parkt dort der kräftige »Carlos«. Ein echter Lieferwagen, wie man ihn vom Handwerker kennt. Er gehört zu einem der vielen Experimente des Unternehmens. So zuckeln seit Neuestem vier E-Carls durch Dresden.
Zumindest wenn sie nicht gerade am Stellplatz laden müssen, denn ihre Reichweite ist auf etwa 110 Kilometer begrenzt. Während andere Carsharing-Unternehmen ankündigen, bis 2024 mindestens 80 Prozent des Fuhrparks auf Elektro umzustellen, kann Gründer Richard Vetter nur den Kopf schütteln. »Wir sind auf die Autohersteller angewiesen«, so das Unternehmen, das bisher auf VW setzte. 2017 nahmen sie an einem Inkubator-Programm in der Gläsernen Manufaktur teil, erhielten 15.000 Euro Unterstützung. Trotzdem blieben sie sich selbst treu, sagen sie. »Wir hatten nie externe Investoren. Man lernt so, schneller zu sparen. Außerdem seien sie mit den Gebrauchtwagen viel zu handbacken gewesen im Gegensatz zu anderen trendigen Start-ups.« Jetzt müssen sie selbst auf Innovationen warten.
Denn erst Mitte 2024 soll ein E-Bus mit mehr Reichweite und Laderaum aus der Produktion kommen, entwickelt von VW und Ford. Es ist der Hoffnungsschimmer für Carl und Carla. Denn mittlerweile fordern einige Städte die Elektrifizierung der Carsharing-Flotte.
Richard Vetter biegt auf das Firmengelände nahe dem Bahnhof Dresden-Neustadt ein. Auch hier reihen sich die Transporter nebeneinander. Seit zwei Jahren arbeitet das mehr als 100 Mitarbeiter starke Unternehmen an dem Standort. Davor spielte sich alles in einer Neustädter Wohnung ab. »Wir haben immer mehr Räume dazugemietet, sind im Hausflur über Wäscheständer gestolpert. Das ist als Start-up zwar cool, aber dafür sind wir mittlerweile zu groß.« In den Dresdner Büroräumen landet jeder, der bei Carl und Carla anruft, ob in Köln, Berlin oder Dresden. An Samstagen glühen 25 Leitungen gleichzeitig, wenn Unfälle gemeldet werden oder das Auto nicht entriegelt wird. Die täglichen Stammkunden haben sie nicht, denn: »Wer einmal umzieht, ist erst mal zufrieden.« Und die große Reise mit dem Bully mache eine Familie auch nicht jeden Monat. Doch bereits jetzt sind all ihre Carlas in Dresden für die Sommerferien ausgebucht.
In den ländlichen Raum wollen sie vorerst nicht expandieren, auch wenn sie im erzgebirgischen Ehrenfriedersdorf an einem smarten Rufbusservice mitgewirkt haben. Bis 2024 werden sie in allen 40 Städten mit über 200.000 Einwohnern vertreten sein, sagen sie. Statt aufs Land wollen sie danach lieber ins deutschsprachige Ausland.
Mit der digitalen Transportervermietung haben sie eine Nische in einem wachsenden
Markt gefunden. Zwischen 2011 und 2022 hat sich die Zahl der registrierten Carsharing-Nutzerinnen und -Nutzer in Deutschland verzwölffacht, heißt es vom Umweltbundesamt, die Zahl der Carsharing-Anbieter steigt jährlich.
Nach vier Jahren Nutzung kehren die Fahrzeuge dann wieder zum Dresdner Kfz-Mechaniker Arne Springer zurück und werden weiterverkauft. Zwischen 15.000 und 35.000 Kilometer haben sie dann hinter sich gebracht. Hunderte Hände haben ihre Lenkräder gehalten, Umzugskisten im Kofferraum verstaut oder Rucksäcke für die nächste Skandinavien-Reise auf die Sitze geschmissen. Vielleicht auch etwas ruppiger als ein privater Autofanatiker. Doch Richard Vetter entgegnet: »Lieber ein Auto für 1.000 Personen als 1.000 neue Autos.«
Text: Luisa Zenker
Foto: Veit Hengst