René Reichardt hasst dicke Luft. Das schätzen sowohl die Kunden als auch die Belegschaft der Dresdner DAS Environmental Experts GmbH.
Und die Jury des Wettbewerbs „Sachsens Unternehmer des Jahres“. Sie kürt ihn 2023 zum Sieger.
Eigentlich habe er sich gar nicht für Sachsens Unternehmerpreis beworben, gesteht René Reichardt. „Die Idee kam aus der Belegschaft“, sagt der Geschäftsführer und Mitgesellschafter der DAS Environmental Experts GmbH in Dresden. Und nun steht der Mann, der nach eigenem Bekunden das Rampenlicht scheut, ganz oben auf dem Podest: als Bester unter Unternehmerinnen und Unternehmern von 48 Firmen, die sich 2023 um die Siegertrophäe „Die Träumende“ beworben hatten.
„Wir machen doch nur unsere Arbeit“, stapelt Reichardt tief. „Unsere Arbeit“ meint Abgasentsorgungsanlagen für Halbleiter- und Elektronikhersteller in Serie und andererseits Abwasserreinigungsanlagen für die Industrie als Projektgeschäft. Beide Bereiche wachsen zunehmend zusammen, Synergien inklusive.
„Wir hatten keine Absatzkrise, außer einer Delle zu Beginn der Pandemie“, sagt der 46-Jährige. „Aber wir leiden bis heute unter gestörten Lieferketten, gerade bei elektronischen Bauteilen.“ DAS – ein Kürzel für Dünnschicht Anlagen Systeme – betreibe „einen Wahnsinnsaufwand, um das zu beherrschen“. Es gehe so weit, „dass wir fertige Anlagen mit allen Komponenten testen, sie aber teils wieder ausbauen, Anlagen unfertig verschicken und die fehlenden Teile später beim Kunden einbauen“. Dem Mangel so zu begegnen sei personal- und kostenaufwendig und unbefriedigend, weil es die Weiterentwicklung lähme.
Die Corona-Pandemie hat das Unternehmen gut gemeistert. Dank des früh installierten Notfallteams sei es den Behörden immer voraus gewesen, sagt der Chef. Die Beschlüsse der Politik hätten ihn nie überrascht. Kein Wunder, war Reichardt doch im Januar 2020 gerade erst aus China, dem ausgemachten Ursprung der Seuche, heimgekehrt. „Da stand das hier noch im Kleingedruckten in der Zeitung“, blickt der Dresdner zurück. Das Unternehmen mit zehn Niederlassungen in Asien, den USA und Südamerika habe sich früh vorbereiten können – und die Pandemie sogar geholfen, das Team zusammenzuschweißen.
Die Energiekrise trifft das Unternehmen indes schon. Die Kosten für Erdgas sind enorm gestiegen. Das hat am Firmensitz im Dresdner Südosten aber auch dazu geführt, neue Technologien zu entwickeln, die bei der Entsorgung schädlicher Prozessgase ohne jenes Brenngas auskommen. Da sieht sich der Boss sowohl mit Strom als auch mit grünem Wasserstoff gut unterwegs. Seine Devise: Krisen sind kein Drama, sondern Katalysator für Neues. Allerdings müssten auch die Kunden nach vorn schauen und in Umrüstung investieren.
Die DAS-Führung beweist solche Weitsicht seit Jahrzehnten. Der Weg vom Anlagenbauer zum weltweit anerkannten Umwelttechnologieunternehmen war ein Steigerungslauf. Der Umsatz stieg in den letzten sechs Jahren von 72 auf fast 150 Millionen Euro – bei dicken schwarzen Zahlen. Hauptkunden sind Waferproduzenten, Solar-, LED- und Flachbildschirm-Hersteller – in Summe 500 Adressen in mehr als 40 Ländern. Wurden 2018 rund 800 Anlagen zur Abgasentsorgung verkauft, so waren es im vergangenen Jahr bereits 1.500. Hinzukommen diverse Abwasserprojekte. 1991 von Horst Reichardt unweit des Dresdner Flughafens mitgegründet, ist die Firma heute eine führende Adresse der Branche.
René Reichardt, der Sohn des Gründers, hatte nach der Schule Kommunikationselektroniker gelernt und später bei Simec, heute Infineon, die Rechentechnik mitaufgebaut. Nach der Jahrtausendwende zog er mit seiner heutigen Frau für vier Jahre nach England, wo er unter anderem bei Starbucks jobbte. Dann ging es 2005 zu DAS und nach China – ausdrücklich kein Schubser vom Vater, wie er sagt. „Nach zuvor wenig Berührungspunkten sprachen wir in einer englischen Bar bei einem Glas Whisky darüber, was jeder so macht“, erinnert sich der Vater zweier Teenager. Dabei habe sich die Chance in Fernost eröffnet.
Der Macher hat zugegriffen und dort im Fernstudium auch den Master of Business Administration erworben, sein Ticket ins Management. Heute hat DAS in China eine eigene Adresse, ist das Land zweitgrößter Absatzmarkt – nach Taiwan. Die Hälfte der weltweit 830 Angestellten, doppelt so viele wie 2018, arbeitet in Dresden, auch fünf bis zehn Azubis und Studenten.
Nach der Rückkehr aus China hatte Reichardt das Abwasserprojektgeschäft inne – bis zum Wechsel in die Geschäftsführung 2016. Vor 18 Jahren habe er sich einen Aufstieg nach ganz oben nicht vorstellen können, räumt der Mittvierziger ein. Aber mit der Zeit sei er immer sicherer geworden und die Entscheidung, 2021 alleiniger Chef zu werden, nicht mehr schwer gewesen. „Ich habe heute ein gutes Gefühl, bei dem, was ich tue“, so Reichardt selbstbewusst.
Als er das sagt, leuchten seine Augen hinter der rahmenlosen Brille, und in der Stimme schwingt Stolz mit – auch auf eine Fluktuationsquote von 6,7 Prozent, weit unter Branchenschnitt, obwohl die Firma nicht tarifgebunden ist. „Wir lehnen uns an den Flächentarif an“, sagt der besonnene Typ, der trotz grauer Haare sehr dynamisch daherkommt. DAS punktet anderswo: etwa mit flexiblem Homeoffice, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, vielen Trainings- und Weiterbildungsangeboten. Die Mitarbeiterzufriedenheit wird drei Mal im Jahr erfragt und beträgt 96 Prozent. Neun von zehn Leuten sehen sich auch in fünf Jahren noch im Unternehmen. Zuletzt hatten sich über 80 Prozent aller weltweit Mitarbeitenden beteiligt. „Cool, oder?“, fragt der Boss rhetorisch und grinst.
DAS trägt mit innovativen Technologien und Anlagen dazu bei, dass Unternehmen ihren Umweltfußabdruck, ihre Emissionswerte, ihre CO2-Bilanz verbessern. Der Chef ist auch selbst aktiv, fährt seit Jahren einen BMW i3 ohne Auspuff.
Als der 2009 bezogene Firmenstandort nahe der Autobahn Dresden–Prag aus allen Nähten platzte, musste erweitert werden. DAS hat 32 Millionen Euro investiert, Sachsens Aufbaubank weitere 2,7 Millionen dazugegeben. Im Zuge der Verdopplung der Produktions- und Lagerfläche auf 6.400 Quadratmeter wurde ein Kornspeicher erhalten und saniert. Er beherbergt seit 2022 eine mit Wärmepumpen und Geothermie klimatisierte Halle. So wurden 255 Tonnen CO2 eingespart. Die frühere Deponie auf dem zugekauften Gelände wurde umweltgerecht versiegelt und zum Mitarbeiterparkplatz – inklusive 30 Ladesäulen für E-Autos sowie 150 Fahrradstellplätzen. Der helle Bürotrakt aus Holz und Glas hat einen flexiblen Co-Working Space mit Arbeitsplätzen, Sitzecken und darunter eine Kantine, die gemeinsam mit dem Luby-Service, einer gemeinnützigen Werkstatt für Menschen mit Behinderung, betrieben wird. Für die nachhaltige Erweiterung gab es den Brownfield24-Award.
MDR Jump tönt aus Lautsprechern. Dieser Campus ist eine Wohlfühloase für Mitarbeitende: mit Fitnessraum, Musikstudio, Beachvolleyballfeld, Swimmingpool für die Mittagspause. Wer das erleben will, wird im Einstellungsgespräch schon mal gefragt, was er zum Umweltschutz beiträgt.
DAS legt jährlich im Schnitt um 20 Prozent zu – organisch, aus eigener Kraft, ohne Zukäufe. Der Markt sei gewachsen, „aber wir konnten auch Anteile gewinnen“, erklärt Reichardt das atemberaubende Tempo. In der Freizeit liebt er es eher langsam und beschaulich: so an der Ostsee beim Angeln mit dem Sohn. Zudem bastelt der Elektroniker gern am smarten Zuhause.
Und wo will er mit dem Familienunternehmen hin? „Wir sind zum Wachstum verdammt, weil wir jede Halbleiterfabrik auf der Welt beliefern“, sagt Reichardt. Die Großkunden forderten hohe Stückzahlen. Um unabhängiger zu werden, fertigen die Sachsen auch in Taiwan und China für dortige Abnehmer. Das gehe nicht zulasten des Stammhauses, verspricht der Chef. Der Hauptsitz werde immer in Dresden sein.
Reichardt ignoriert unmoralische Angebote großer Player, die den Überflieger von der Elbe gern integrieren würden. Er befasst sich lieber mit Talentförderung wie beim Wettbewerb „Jugend forscht“, wo DAS Pate ist, oder dem Schülerlabor im Dresdner Gymnasium Bürgerwiese. Reichardt spielt selbst Lehrer und bringt Oberschülern in Dohna das Programmieren bei. „Man wird in jedem Beruf Basis-IT-Kenntnisse brauchen“, prophezeit der Mann mit einem Faible für Algorithmen. Er will Vorbild sein, ehe er etwas von anderen fordert.
Der Chef engagiert sich ehrenamtlich, etwa als Vorstand im Netzwerk Silicon Saxony und als Boardmitglied im europäischen Halbleiterverband SEMI. „Was soll aus der Gesellschaft werden, wenn sich immer weniger für sie einsetzen“, sorgt er sich. Eine „super Führungsmannschaft und super Belegschaft“ ermöglichen ihm solche Ausflüge. Reichardt ein Idealist? „Absolut“, bestätigt er. Umwelt stehe für ihn in jeder Hinsicht im Vordergrund. Aber in einer Firma, die sich Environmental Experts nenne, sei jeder ein Umweltexperte.
„Ich bin nicht wichtig, gebe ja nur Impulse“, ist der Ideen- und Geldgeber bescheiden. Wichtig sei die Gemeinschaft. Als er die auf ihn gemünzte Unternehmerpreisbewerbung der Belegschaft gelesen habe, sei er „schon ein bisschen beeindruckt, gewesen, was wir alles leisten“, gesteht Reichardt. „Aber es stimmt alles.“
Text: Michael Rothe
Foto: SZ/Veit Hengst