Martin Walther (Mitte) ist seinen Eltern Elzbieta und Joachim dankbar, dass sie ihm den Weg zum eigenen Restaurant geebnet haben - und loslassen konnten.
Der nach den Sternen greift
Martin Walther macht aus dem Café „Heiderand“ seiner Eltern ein innovatives Restaurant– und findet sich schon im Guide Michelin.
Begegnet ist Martin Walther der „Träumenden“ bereits: in der Pillnitzer Werkstatt von Malgorzata Chodakowska, Schöpferin von bislang 16 jener Bronzestatuen, die seit 2006 „Sachsens Unternehmer des Jahres“ winken. Das Atelier gehört zum Weingut von Klaus Zimmerling, Ehemann der Künstlerin, der den Dresdner Junggastronomen mit edlen Tropfen beliefert.
Noch ist Walthers 2019 gegründetes Unternehmen zu jung sowie ein paar Mitarbeiter und Umsatzeuro zu klein, um sich für den Hauptpreis zu bewerben. Doch für die Jagd um die Gründerkrone reicht das, was der 28-jährige Dresdner zu bieten hat, allemal. Und die dort in Aussicht gestellten Medialeistungen von 60.000 Euro würden dem Newcomer ein Stück weiterhelfen.
Dabei war und ist sein „Heiderand“ eine Institution. Doch wer das 1904 als Bäckerei Schnöder gegründete Café an der Gleisschleife der Straßenbahnlinie 11 in Bühlau lange nicht besucht hat, wird es kaum wiedererkennen. Die Räumlichkeit nicht, an deren Verwandlung der neue Chef selbst mitgewirkt hat– und nicht die Speisekarte. Vorbei die Jahrzehnte, als das Café der Inbegriff für Tanztee und Bratenbrot war. Der Ururenkel des Gründers offeriert gebackene Aubergine mit Curryschaumsoße, Champignons, Spinat und frittiertem Knoblauch oder gebratene Forelle mit Haselnuss, Forellenkaviar und Schnittlauch oder geschmorte Rinderbäckchen mit Chicorée, Apfel und Selleriepüree – und mehr. Und dann ist da noch das Heiderand-Eis: neun Sorten u.a. mit Stückchen vom hausgebackenen Rosinenstollen, Vanille-Tonkabohne und karamellisierter Kondensmilch.
„In Handarbeit gefertigt und befüllt. Nachhaltig verpackt“, heißt es auf der Website.
Womöglich steht dem Späher vom Michelin Guide, der Gourmetbibel schlechthin, der Mund noch immer offen. Jedenfalls hatte Martin Walther Wochen nach der Neueröffnung einen Verdacht, dass er und sein Etablissement soeben getestet wurden.
Tatsächlich: Seit Ende 2020 prangt ein „Bib Gourmand“ über der Theke. Die Auszeichnung knapp unterhalb des Sterne-Spektrums wird für sorgfältig zubereitete und zugleich preiswerte Mahlzeiten vergeben. Als das rote Schild mit dem lächelnden Michelin-Männchen eintraf, „war das ein Gänsehaut-Moment in meinem Leben“, erinnert sich Walther. Er punktet auch in Sachen Nachhaltigkeit, kauft bei regionalen Produzenten, und seine Eisbecher, für die sich bereits Dresdner Händler interessieren, sind kompostierbar.
Martin Walther eröffnete im Februar 2020– wenige Wochen vor den ersten Corona-Fällen in Deutschland. Der Kumpeltyp, der nach dem Abi bei Sternekoch Benjamin Biedlingmaier im Dresdner Bülow Palais in die Lehre ging, schaute danach in die Töpfe mehrerer deutscher und österreichischer Gourmettempel. „Dann wuchs der Wunsch, das Café der Eltern zu übernehmen, auch wenn ich lieber noch drei, vier Jahre woanders gelernt hätte“, blickt er zurück. Damit rannte Martin bei Elzbieta und Joachim Walther (beide 55) offene Türen ein. Sie seien nach Jahrzehnten harter Arbeit auch körperlich an ihre Grenzen gestoßen, erzählt ihr Sohn, der schon mit zwölf Jahren in der Küche mitgeholfen hatte. Der Gründer stellte neben zwei Teilzeitkräften auch seine Eltern ein und profitiert so von deren Know-how. So stehen weiter auch Piroggen seiner aus Polen stammenden Mutter auf der Speisekarte.
Entscheidungen würden im Team diskutiert, letztlich aber von ihm gefällt, sagt Martin Walther. „Ich habe meinen Eltern klargemacht, dass es auf jeden Fall Veränderungen braucht, nicht nur äußerlich“, sagt er. Übergangsweise habe er tagsüber in einem Dresdner Restaurant gekocht und nachts die eigene Küche renoviert, Dielen geschliffen und Wände rausgerissen. Aus dem Tanzcafé, in der DDR enteignet und 2001 auf den Vater rückübertragen, wurde in 4. Generation ein reines Abendrestaurant mit gelegentlichen Familienfeiern.
Schon im ersten Jahr verdoppelte der Nachfolger den Umsatz des Vaters auf gut 200.000 Euro. Und im gerade zu Ende gegangenen 2. Coronajahr waren 350.000 Euro anvisiert, trotz der fünf Monate im Lockdown. „Im Grunde war die Pandemie ein Glücksfall“, sagt Martin Walther, der in kurzer Zeit einen Liefer- und Abholservice auf die Beine stellte. „Corona zwang uns, neue Wege zu gehen – bis hin zu selbst gebackenem Stollen und Vanille-Eierlikör.
„Manchmal muss ich mich zügeln, nicht zu experimentell zu werden“, sagt er. Mancher Kollege habe in der Pandemie mit der Begründung dichtgemacht, er bekomme ja sein Geld vom Staat. Nicht so Martin Walther. „Mir war wichtig, dass niemand in Kurzarbeit muss und seinen Alltag behalten kann.“ Die Leute könnten das Restaurant womöglich vergessen, wenn es ein halbes Jahr zu ist, so seine Sorge.
Walther duzt alle seine Gäste. „So kommt man leichter ins Gespräch“, sagt er. Rezepte gebe er gern preis – wohl wissend, dass es auf die Umsetzung ankommt. „Ich will, dass sich die Gäste mit Essen befassen und dass der Tourismus boomt“, sagt er.
Und wo will der Jungunternehmer mit der Firma hin? „Ich werde auch in zehn Jahren am Herd stehen und gute klassische Küche mit exzellentem Wein anbieten“, sagt Walther. Er spricht von „Hausmannskost“, seine Gäste nennen das „die Untertreibung des Jahres“. Der Gründer will wachsen, kann sich fünf Köche und Bedienkräfte vorstellen und träumt davon, sein innovatives Eis deutschlandweit anzubieten. Seine Devise: „Es kann nicht scheitern, was gut gemacht ist.“
„Im Nachhinein habe ich alles richtig gemacht“, sagt der lockere Schlacks in Jeans und Kapuzenshirt. Falls Martin Walther in ein paar Jahren ernsthaft um „Die Träumende“ buhlt, dürfte seine Freundin kaum eifersüchtig werden. Die gelernte Hotelfachfrau soll sich künftig um den Gästekontakt des „Heiderand“ kümmern. Womöglich prangt dort bald ein richtiger Michelin-Stern als Argument über der Theke.
Text: Michael Rothe
Foto: Ronald Bonß