Liofit in Kamenz haucht defekten und alten E-Bikes wieder Leben ein. Chef Ralf Günther hat da noch viel vor.
Der Mann, der die alten Akkus rettet
Ralf Günther weiß, wie man sich lästige Diskussionen um 2G oder 3G am Arbeitsplatz vom Leib hält. „Bei mir wird jeder Beschäftigte täglich vor Arbeitsbeginn auf Corona getestet“, sagt der Chef und Inhaber der Liofit GmbH in Kamenz. Er habe gleich mal 1.250 Tests geordert, und die reichen für seine 30 Leute eine ganze Weile.
So resolut der 63-Jährige der Pandemie begegnet, so zielstrebig ist er als Unternehmer. „Mit viel Liebe und Leidenschaft reparieren wir seit 2013 die großen und kleinen Probleme aller E-Bike-Akkus“, verspricht Liofit auf seiner Website. Und wer die unscheinbare Werkstatt mit ihrem familiären Betriebsklima besucht hat, zweifelt nicht. Auch nicht an den Zahlen: jährlich 6.000 kostengünstige Reparaturen an über 750 unterschiedlichen Lithium-Ionen-Akkus – auch für Elektro-Roller und Segways.
Das andere und wachsende Standbein des 2013 gestarteten Unternehmens ist Recycling. Und es gibt auch ein paar Hundert in Kleinserie selbst hergestellte, wiederaufladbare Batterien. Die Aufträge kommen meist aus Deutschland, auch aus Frankreich, Österreich, Spanien, Großbritannien, Benelux-Ländern und der Schweiz.
„Zelltausch geht überall, aber Elektronik reparieren nur wir“, sagt der Chef stolz. Das spricht sich rum. Akkureparatur ist nicht gesetzlich geregelt. Nun wird an einem Regelwerk gefeilt, sollen Sammel- und Recyclingquoten erhöht werden, um wertvolle Rohstoffe zurückzugewinnen. Noch werden verbrauchte und defekte Akkus im Hochofen energie- und kostenintensiv eingeschmolzen, hält sich die Recyclingquote mit 30 Prozent in Grenzen. Nur Kupfer, Kobalt, Nickel werden gewonnen und die Schlacke im Straßenbau genutzt.
Günther weiß einen nachhaltigeren Weg: Intakte Kabel, Leiterplatten und andere Bauteile erhalten ein zweites Leben in neuen Batterien. Defekte Komponenten werden recycelt – etwa Gehäuse geschreddert und als 60-prozentige Beimischung zu neuen Alu- oder Kunststoffmänteln.
Liofit ist auf Vorsprung aus
„Wenn ich aus zwei Akkus einen neuen gewinne, kann ich den anderen ohne Mehrkosten recyceln lassen“, hat Günther errechnet. Am Ende blieben auch Mangan, Lithium, Eisen, Aluminium, Graphit im Stoffkreislauf – eine Aufbereitungsquote von über 90 Prozent. Zudem falle weniger CO2 an als beim Verbrennen, und selbst die Restladung der Akkus könne ins Stromnetz eingespeist werden. Der promovierte Chemiker stößt meist auf Begeisterung. Vorbehalte gebe es „nur bei jenen, die mit Neuware mehr verdienen und Geld verlieren würden, wenn Akkus repariert werden“.
Der gebürtige Meeraner ist elektrisiert von dieser Idee. Seine Argumente überzeugten auch Bund und Freistaat und bescherten dem innovativen Projekt einen Förderscheck über gut 2,8 Millionen Euro. Hintergrund ist ein milliardenschweres Programm zum Aufbau einer Batteriezellfertigung in der EU.
Die Herausforderung beim mechanischen Recyceln: das vollständige Entladen der Zellpakete vor dem Schreddern. Auch der zerkleinerte Elektronikschrott wird zum Rohstoff für neue Lithium-Ionen-Akkus. Eine Achillesferse ist das Öffnen der verschweißten Akkus mit den geladenen Zellpaketen. Hierzu sei er im Gespräch mit sächsischen Hochschulen und Roboterbauern, sagt Günther. Das Prinzip könne auch für Rasenmäher und Staubsauger interessant werden, und der Bedarf sei riesig.
„Wenn wir in zwei, drei Monaten einen wirtschaftlichen Weg zum gefahrlosen, automatisierten Zerlegen gefunden haben, bauen wir in der Lausitz ein Zerlege- und Entladezentrum“, erklärt der Ex-IT-Chef des einstigen Arzneimittelwerks Dresden. Recycling passe eher in ein Ex-Kohlegebiet als eine Behörde, sagt Günther in Anspielung auf Pläne der Politik zum Strukturwandel. „Subventionen sollten ohnehin nur helfen, Dinge zu verwirklichen, die man auch so gemacht hätte.“ Er wolle die Bevölkerung mitnehmen, Ängste und Widerstände nicht erst aufkommen lassen.
Der zweifache Familienvater, der täglich zwischen Dresden und Kamenz pendelt, hat seine Nachfolge längst geregelt. Sohn Rico (31) leitet bereits das operative Geschäft und die Entwicklung. „Ich habe versprochen, das Projekt bis 2026 zu begleiten, werde ihm aber keinen Schuldenberg für eine Schnapsidee hinterlassen.“
Im Gründungsjahr 2013 bilanzierte der damalige Drei-Mann-Betrieb einen Umsatz von 8.000 Euro. Sieben Jahre später waren es gut 1,5 Millionen Euro, fast das 200-fache. Liofit – der Name ist Programm – will in den nächsten vier Jahren auf rund 100 Mitarbeitende wachsen. „Ich hatte noch nie Personalnot“, sagt er. Er führt ein „zielorientiertes Regime ohne viel Druck“. Die Leute könnten selbst bestimmen, wann sie wie arbeiten, entscheidend sei das Resultat. Die pfiffige Belegschaft überrascht ihn auch mit Eigenentwicklungen nach Feierabend: darunter Teststände und Schutzelektronik. Günther setzt auf Eigenverantwortung und belohnt mit Prämien. Liofit engagiert sich bei der Integration von Ausländern und ist Sponsor beim Glückskleelauf für krebskranke Kinder.
Der bodenständige Chef und sein Gefolge wollen einen Vorsprung haben, falls die EU mechanisches Recyceln vorschreibt. Aber ihr Hauptgeschäft bleibe die Reparatur, sagt er – und Liofits Sitz in Kamenz. Die Lessing-Stadt wird zunehmend zur Akku-Stadt, auch wegen der Daimler-Tochter Accumotive, einem Batteriehersteller für Mercedes-Benz und Smart. Anderen Hoffnungsträgern wie Ionity, Litarion, Li-Tec ging hingegen der Saft aus. Liofit-Chef Günther sieht dennoch fruchtbaren Boden. Die Stadt sei offen für das Thema. Nun brauche es nur gesetzgeberische Klarheit bei Reparaturen, so Günther. Vielleicht hilft da ja der Ausgang der Bundestagswahl.
Text: Michael Rothe