News

Auf dem Weg vom Bauernhof zum Markenartikler

Sächsischer Unternehmerpreis: Das Wurzener Landgut Nemt ist einer der Pioniere von ökologischen Produkten in Sachsen und setzt auf moderne Technologien

Wurzen. Es ist später Nachmittag. René Döbelt ist vom Büro zum Stall gefahren, schaut sich seine Kühe an. »Da sind die Trockensteher«, erklärt er. Also Tiere, die gut sechs Wochen vor der Geburt eines Kalbes zur Schonung nicht mehr gemolken werden. Er sieht Kälber, die bei ihrer Mutter sind, andere Kühe liegen ruhig auf dem Boden oder fressen. »Ja, das sieht alles gut aus«, sagt Döbelt, dem die Freude darüber anzusehen ist.

Der 58-Jährige ist Chef der Landgut Nemt GmbH in Wurzen, ein Unternehmen, das Ackerbau betreibt sowie Milch erzeugt und seit 2014 auch einen Standort im vogtländischen Tirpersdorf unterhält. Die Firma ist einer der sächsischen Pioniere im Öko-Landbau. »Wir waren Nummer sechs der sächsischen Bio-Betriebe«, erinnert sich der Bauer. Er stellt Bio-Produkte her, von Käse über Quark und Joghurt bis hin zu Kartoffeln, Feldgemüse sowie Energie.

Von 16 auf 108 Beschäftigte in 20 Jahren

Die Biogasanlage liefert acht Millionen Kilowattstunden jährlich. Genug, um 2300 Haushalte mit Strom zu versorgen.  Alles zusammen eine Erfolgsgeschichte. So erhöhte sich der Umsatz seit 1992, als er loslegte, von 1,5 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro im vorigen Jahr. Die Zahl der Beschäftigten kletterte von 16 auf 108. Es werden, als Ergebnis harter Arbeit, schwarze Zahlen geschrieben.

René Döbelt studierte nach dem Abitur Agrarwissenschaften in Halle. Mit dem Diplom in der Tasche arbeitete er ein paar Monate in einer Berliner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die sich in der Wendezeit auf die Prüfung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) spezialisiert hatte. Aber »es reizte mich schon früh, mich selbstständig zu machen«. So erwarb er mit 10 000 D-Mark in der Tasche (»davon haben meine Familie und ich ein Jahr lang gelebt«) und hohem Fremdkapital Ende 1991 die ehemalige LPG Karl Marx in Wurzen, startete durch. »Vom ersten Tag an war ich in der Verantwortung.«

Das Gut ist ein Familienbetrieb. Sein Bruder Karsten (55) ist als Lebensmitteltechnologe dabei, Schwiegertochter Laura (32) verantwortet Marketing und Vertrieb, Schwägerin Corinna (51) die Buchhaltung. Renés Söhne Christoph (35), der einen Universitätsabschluss als Master of Finance besitzt, und Thomas (33), »der schon als kleiner Junge Landwirt werden wollte« und nun studierter Agrarier ist, sind ebenfalls in der Firma tätig. »Ich habe sie frühzeitig darauf vorbereitet, dass sie in den Betrieb einsteigen dürfen, aber nicht müssen.«

Nachfolge geregelt – aber noch in weiter Ferne

Was wiederum bedeutet, dass die Nachfolge schon heute geregelt ist. Beide Söhne haben inzwischen auch Gesellschafteranteile. »Noch bin ich nicht alt genug, um mich zur Ruhe zu setzen«, schmunzelt der Senior, der eine breite Palette an ehrenamtlichen Aufgaben ausübt und sich in der Region engagiert.

So ist Rene Döbelt unter anderem Vizepräsident der 30 000 Mitglieder starken Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), Gründungsmitglied der Erzeugergemeinschaften Ökologischen Bauernhöfe Sachsens und der Erzeugergemeinschaft Biogemüse regional AG. Unterstützt werden etwa die Jugendfeuerwehr, Kirchgemeinden und Sportvereine. »Wir erbringen«, sagt er, »wesentliche Umweltleistungen für die Region. Zudem bilden wir aus und integrieren ausländische Mitarbeiter« – derzeit aus Polen, der Ukraine, Syrien, Afghanistan und Venezuela.

Der Firmenchef hatte sich gleich zu Beginn seines Unternehmertums für Öko-Landwirtschaft entschieden. Der Hauptgrund: Die Nitratbelastung des Trinkwassers im Raum Wurzen war viel zu hoch. Zu DDR-Zeiten erhielten dort Eltern für ihre Kinder Gutscheine für Mineralwasserflaschen. Die Werte sanken dank der Umstellung rasch unter den Grenzwert. Beim Bio-Anbau wird auf mineralische Kunstdünger, chemisch-synthetische Unkraut- oder Insektenvernichtungsmittel verzichtet.

 

 

Erster Bio-Milch-Verkauf scheitert

Döbelt stellte auch gleich Bio-Milch her. Sie kommt von Tieren, die mehr Platz und Auslauf als klassisch gehaltene Kühe haben und Futter erhalten, das nach den Kriterien der Öko-Verordnung hergestellt wird. Solche Tiere geben im Jahr rund 2000 Liter weniger Milch als konventionell gehaltene Tiere. Doch das Konzept »Klasse statt Masse« klappte nicht. »Ich hatte bis 2001 keine Molkerei, die mir den höheren Bio-Preis zahlen wollte.« Es wurde wie konventionelle Milch vergütet. Auch für die Jahre danach sei ihm keine Hoffnung gemacht worden. »Wir wollten diesen Markt schon damals erschließen, die Zeit war aber noch nicht reif dafür.« Erst 2022 wurde es daher möglich, wieder auf Bio-Milch umzustellen.

»Moderne Landwirtschaft ist nachhaltig, produktiv, umweltfreundlich, innovationsfreudig und facettenreich«, beschreibt Döbelt trotz der schwierigen Rahmenbedingungen für die Bauern seine Motivation. Zu den Erschwernissen zählen unter anderem ständig neue und schärfere Vorgaben, Kürzungen bei den Ausgleichszahlungen der EU, ausufernde Bürokratie. »Landwirte denken in langen Zyklen, die Politik oft kurzfristig.« Hinzu kommt der Kostendruck. Beim Weizen etwa »haben wir auf dem Weltmarkt die Preise von Kasachstan, aber die teuren Löhne von Deutschland«.

Döbelt widerspricht der Ansicht, Landwirtschaft sei langweilig, altbacken. »Auch bei uns sind Innovationen an der Tagesordnung.« Die Gestaltungsmöglichkeiten seien hoch. Die Produktivität werde in einem permanenten Prozess erhöht. So hatte Nemt den ersten Feldroboter in Sachsen im Einsatz, der Kuhstall ist digitalisiert, eine wassersparende Feldberegnung, wichtig in Zeiten des Klimawandels, wurde auf- und ausgebaut.

Ständige Frage: Was ist das Beste für Mensch, Tier und Umwelt?

Der Landgutchef weiß: Um zukunftsfähig zu bleiben führt kein Weg an Precision Farming, also Präzisionslandwirtschaft, vorbei. Dabei werden moderne Technologien eingesetzt, um die Effizienz und Genauigkeit in der landwirtschaftlichen Produktion zu verbessern und Ressourcen wie Saatgut und Wasser optimal zu nutzen. Pflanzensensoren etwa messen die Stickstoffversorgung und den Biomasseaufwuchs. Das alles hilft, den Ernteertrag zu optimieren. »Bei jeder Entscheidung fragen wir uns, was das Beste für Mensch, Tier und Umwelt ist«, beschreibt Döbelt die Philosophie.

Die GmbH setzt ihre Produkte über mehrere Kanäle ab. Der Löwenanteil der Milch geht an Molkereien. Aus dem Rest werden in der eigenen Hofmolkerei Lebensmittel gefertigt, die unter anderem in 100 Supermärkten in Sachsen vertrieben werden. »Unser Schaufenster«, so Döbelt, »ist aber die Direktvermarktung.« Im Onlineshop sind 50 eigene Produkte im Angebot. Ausgefahren werden sie bis Dresden, Leipzig und Halle. Vor Ort gibt es einen Dorfladen mit Café. Nemt beliefert zahlreiche Schulen und Kindertagesstätten im Leipziger Raum, ist zugelassener Lieferant des EU-Schulprogramms für Milch, Obst und Gemüse. »So schließen wir regionale Kreisläufe.« Dabei ist Frische Trumpf: Am späten Abend werden die Kühe gemolken, am nächsten Morgen ist die Milch im Laden.

Döbelt steuert sein Unternehmen auf einem behutsam Wachstumskurs. Dazu setzt er verstärkt auf die direkte Vermarktung. »Wir wollen hin zum Markenartikler.« Dadurch sei sein Angebot weniger austauschbar. Bereits jetzt ist Nemt einer der führenden Betriebe in der Gemüseproduktion und einer der größten Hersteller von Bio-Zwiebeln in der Bundesrepublik. Zugute kommt die anziehende Nachfrage nach Öko-Produkten.  2022 wurden deutschlandweit 15,3 Milliarden Euro mit Bio-Lebensmitteln umgesetzt, ein Viertel mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. Die hiesigen Verbraucher seien sensibler geworden und bereit, für regionale Bio-Produkte einen etwas höheren Preis zu bezahlen. »Die Ostdeutschen sehen auch den Zusammenhang mit den Arbeitsplätzen.«

Inzwischen haben die Planungen für einen neuen Kuhstall begonnen. Ziel ist, alte durch moderne, tiergerechte Ställe zu ersetzen. Darüber würde sich Döbelt bei seinen abendlichen Besichtigungsfahrten freuen.

Der Wirtschaftspreis »Sachsens Unternehmer des Jahres 2024« und der Gründerpreis »Sachsen gründet – Start-up 2024« sind eine Initiative der »Sächsischen Zeitung«, der »Freien Presse«, der »Leipziger Volkszeitung« und des MDR sowie von VW Sachsen, der Beratungsgesellschaft Schneider + Partner, der LBBW, der Gesundheitskasse AOK Plus und »So geht sächsisch«.

Text: Ulrich Milde

Bild: Konrad Stöhr/Landgut Nemt

Zurück zur Übersicht